Bulgarien,
Zankov, Deutschlandradio Berlin, Herrn Norbert Sperling. Von Barbara Lehmann
Sprecherin:
Stolz reitet im Zentrum von Sofia Zar Alexander II., der Befreier Bulgariens
von der Türkenherrschaft, auf seinem bronzenen Denkmalross. Zwischen den
Bauten des zaristischen Russlands verprengte Implantate des 20.Jhd: die
stalinistisch-neoklassizistischen Monumentalbauten der Sowjetzeit, gegen die
das Parlament der Jahrhundertwende, das Signum kurzer staatlicher bulgarischer
Unabhängikeit, eher bescheiden wirkt. Dazwischen leuchten, Fabtupfer der
neuen Zeit, die Reklametafeln und Designershops westlicher Provenienz. Weitab
von Zentrum, an der Peripherie der Stadt, wo sich kleine Holzhäuser im
Dickicht der Gärten neben
vergammelten sozialistischen Plattenbauten ducken, befindet sich in einem
Neubau das weitläufige, ungeheizte Atelier des Künstlers Ventsislav
Zankow, eines Hünen mit langen dunkelblonden Locken.
O-Ton
Zankov: „Wir befinden uns in einer Art Übergang.
Es gibt mehr Freiheit als in den etablierten Gesellschaften. Das hat seine Vor- und Nachteile. Die Nachteile sind wachsende
Brutalität, Totschlag, Kriminalität. Die Vorteile: Ich kann mich frei
fühlen, eine Menge Dinge zu tun. Wir haben Freiheit, aber diese Freiheit
schwindet. Beispielsweise mache ich Gemälde, die das
herkömmliche Verständnis von
Sexualität sprengen. Vor fünf Jahren konnte ich ähnliche
Gemälde machen und sie wurden überall ausgestellt, sogar in der Nationalgalerie.
Jetzt wollte sie eine Galerie nicht ausstellen, sie wurden zensiert. Vor
fünf Jahren gab es eine Art Freiheit, die Leute wußten nicht, wie
sie reagieren sollten. Jetzt treten wir in die bürgerliche Gesellschaft
ein, und noch ein Schritt weiter, und die Zensur zielt auf meinen Kopf. Denn
ich arbeite auch mit Tabus. Zum Beispiel gab es hier folgendes Tabu: In der
Schule haben wir gelernt, der Kapitalismus sei schlecht. Vor 10 Jahren
hieß es dann, für die Demokratie zu kämpfen sei gut. Aber
niemand hat die Gleichsetzung gemacht, daß Demokratie Kapitalismus meint.
Und freie Demokratie auch freies Kapital.“
Sprecherin:
Am Eingang des Ateliers steht eine Staffelei mit einem noch unfertigen
Porträt: eine blasse junge Frau
mit Kurzhaarschnitt und leerem Blick – die Tochter eines neureichen Bulgaren,
ein Auftragsbild. In einer Kammer, vor dem Blicken verborgen, Zankows
Giftdepot: Phalluse schweben über den klaffenden Mündern der Vaginas,
überschlanke Frauenkörper
ohne Gesichter schlängeln sich dem Betrachter entgegen. Steriles
Fleisch, das den begehrlichen Blick des Betrachters provoziert und ihn
gleichzeitig kühl zurückweist. Das Paradies, das ein Pop-Art-
Gemälde höhnisch verspricht, präsentiert sich als nackte
schwarze Schöne, unnahbar und fern wie eine bulgarische TV-Reklame mit
Südseeflair. Das postkommunistische Bulgarien, mit Milliarden Dollar-
Krediten aufgepumpt, hält strikt
West-Kurs ein. Seit dem Staatsbankrott 1997, als das in den Nachwendejahren von
altkommunistischen Kadern ausgeplünderte Land am Boden lag, wird Bulgariens
Staatshaushalt vom internationalen Währungsfond kontrolliert. Er hat das
Land auf einen rigiden Sparkurs gesetzt; oberste Priorität haben
Währungsstabilität, Rückzahlung westlicher Kredite und
Einsparung in den Bereichen Soziales, Gesundheit, Bildung und Kultur. Eine
Politik, die die Bevölkerung in die Armut treibt; die Hälfte der
Bulgaren überlebt derzeit nur dank der Naturalwirtschaft.
O-Ton
Zankov: „Meine Erfahrung mit Leuten aus dem Westen
ist, daß sie hier
Überbleibsel des sozialistischen Lebens entdecken wollen. Doch
davon ist nichts übriggeblieben. Wir sind bereits in das kapitalistische
System eingetreten, und zwar ein sehr primitives, barbarisches. Man hat uns
bereits erobert, wir haben das System akzeptiert. Man gibt uns Kredite, aber
nicht umsonst, für das Geld haben wir westliche Produkte zu kaufen.
Gleichzeitig suchen die Leute von hier etwas Neues, wenn sie in Richtung Westen
schauen. So besteht die Gefahr, daß wir einander nicht begegnen.
Künstler und Kuratoren sollten aber die Barrieren des simplen
ideologischen Ost/West Gegensatzes überwinden. Ich glaube nicht, daß
wir wirklich ein Teil von Westeuropa werden. Eher muß sich die EU
ändern, bevor wir beitreten. Es muß eine neue Art von Beziehungen geben, sonst schaffen wir als ein
weniger entwickeltes Land nur Probleme.“
Sprecherin:
Die permanente Staatskrise, den Wechsel der Systeme erlebten die von der
offiziellen Kulturpolitik in Stich gelassenen Künstler in den letzten zehn
Jahren auch als Krise der Identität. Zankow, der im Wendejahr 91 die
Kunstakademie als Bildhauer verließ, sah sich plötzlich im schwarzen
Vakuum einer Gegenwart, die endlos schien. Damals stellte er sich in den
schneeverwehten Garten des Bulgarischen Künstlerverbands und
übergoß seinen nackten Körper mit Kalbsblut – Zeichen einer Revolte gegen die Dogmen des kommunistischen
Kunstsystems, das seine Künstler in komfortabler Abhängigkeit hielt.
Die folgenden Aktionen „Limes agoniae“ waren aber auch die Initiation seiner
Taufe zum selbstverantwortlichen Individuum, ohne das der Übergang zum
demokratischen System nicht möglich ist.
O-Ton
Zankov: „Damals, 91, nach der Wende, waren die
Institutionen in einer Krise. Es gab keine Zukunft und keine Vergangenheit. Nur
die endlose Gegenwart. Wie in der Limes-Theorie: etwas ist endlos, aber es hat seine Grenzen. Und
die Grenze ist der Tod. So kann die Agonie als Gefühl endlos sein. Das
war sehr bezeichnend für die Zeit,
in der wir gelebt haben. In diesem weißen Raum ohne ein
institutionalisiertes kulturelles Feld, entstand die Bewegung „Kunst in Aktion“. Später habe
ich von Fluxus und Hermann Nitsch gehört , der dasselbe gemacht hat, Ende
der sechziger Jahre, als Westeuropa
eine ähnliche Krise hatte. Wir alle folgen unseren Archetypen. Das gilt
für die ganze Menschheit, in Ost und in West . So war ich zu dieser Zeit
in gewisser Weise Hermann Nitsch, ohne ihn zu kennen.“
Sprecherin: Jetzt, in Distanz zum Zickzackkurs seines Landes, das, befreit aus der kommunstischen Hörigkeit, sich sogleich dem Westen in die Arme warf, sucht Zankow einen dritten Weg: zwischen provinzieller Abschottung und Unterwerfung unter die Großmächte. Sein neuestes Projekt ist ein betont als abhängig deklariertes, weil höchst subjektives Internet-Magazin. Hier kann er die neuen globalen technischen Möglichkeiten nutzen und gleichzeitig auf lokaler Ebene die ihm wichtigen gesellschaftspoltischen und kulturellen Themen verhandeln. Sein Magazin ist ein Kulturführer mit aktuellen Veranstaltungstips, ein Friedhof alter Ideen und ein Labor für die Zukunftvision einer unabhängigen intellektuellen Gemeinschaft. Und daneben ist es vor allem eine höchst vergnügliche Spielkiste mit den Klischees des bulgarischen kollektiven Unbewußten. Ein Klick auf http://zetmag.org und wir sind in den „Fairy tailes“. Hier, in der Manier alter russischer Kinderbuchgeschichten, mit denen die Bulgaren aufwuchsen, beglücken nicht russische Soldaten als Helfer das bulgarische Volk. Vielmehr erproben, in Anspielung an die Kosovo-Mission, Nato-Soldaten an den balkanischen Ureinwohnern ihr Gutmenschentum. Einspruch erbeten. „Wir müsssen die Kunst des Miteinander-Redens lernen“, sagt Zankov und lacht.